Lea

Wie vom Teufel geritten legte Lea los, als man ihr den Starttropfen auf die Fühler träufelte. Sie hatte den Tag sehnsüchtiger herbeigesehnt als Schalke die Meisterschale, als erste Schnirkelschnecke der Welt den halben Meter in 15 Minuten zurückzulegen. Jahrelang war sie testgekrochen und hatte sich von anfänglich sieben Stunden auf 18 Minuten gesteigert, ohne EPO, nur mit eiserner Disziplin. Außerdem war sie extrem scharf auf den Hauptpreis, ein nagelneues Schneckenhaus aus feinstem Kalk. Vielleicht auch auf die vielen Nacktschnecken, die nach dem Sieg um ihre Gunst buhlen würden wie ein Haufen ausgemergelter Koyoten um einen Fetzen Plockwurst. Man weiß es nicht.
Schon auf den ersten zwei Zentimetern zog sie ihren Konkurrentinnen davon. Lediglich Rita, Landlungenschnecke und Weltmeisterin im Schnecken-Triathlon (kriechen, schleimen, fühlen), konnte mit ihrem Tempo mithalten.
Mit Kraft und Anmut schlabberte sich Lea über den Asphalt und baute ihre Führung beharrlich aus. Als nach zehn Zentimetern zwei hoch gehandelte Weinbergschnecken aufgeben mussten, weil sie beim Versuch, von Leas Windschatten zu profitieren, auf deren Schleimspur ausgerutscht waren, klopfte Leas Herz wie wahnsinnig. So wie damals, als sie Urlaub auf dem Blatt von nebenan gemacht hatte und sich dort in die rassige spanische Wegschnecke verliebt hatte. Die Geschichte endete in einer Katastrophe, aber das Herzklopfen war in etwa dasselbe.
Auf halber Strecke wurde die Zwischenzeit eingeblendet: 7:23 Minuten, und der Vorsprung auf Rita betrug schon drei Zentimeter. Leas Fühler zitterten vor Freude. Alles lief nach Plan. Ein Regenwurm am Rand feuerte sie mit aufgestellten Borsten an. Ein Fan, dachte Lea gerührt, doch sogleich richtete sie ihren Blick wieder starr geradeaus, die Ziellinie im Visier, die ihr aus der Ferne verheißungsvoll entgegenschimmerte.
In stumpfer Monotonie absolvierte Lea die langgezogene und von allen gefürchtete Schikane. Sie gestattete sich einen kurzen Seitenblick und sah, dass Rita mit einem akuten Hungerast kämpfte und vor Rammdösigkeit schon peinlich schielte.
Bei Zentimeter 40 bog Lea auf die Zielgerade ein. Sie lag mittlerweile bei 11:58 Minuten. Sie schrubbte, was das Zeug hielt, und obwohl sie mittlerweile hartnäckiger keuchte als ein Basset nach einmal Bordsteinkante hochklettern, witterte sie immer mehr den Duft des Triumphs. Sogar das Schicksal gesellte sich nun willfährig an ihre Seite, als sich vor lauter Euphorie kurzzeitig ihr Schließmuskel öffnete und ihr ein Furz entglitt, der sie mit dem Druck eines seit Jahrhunderten eingesperrten Flaschengeistes um drei Zentimeter nach vorne katapultierte. So hatte sie einen Zentimeter vor dem Ziel noch 27 Sekunden Zeit, was einen Puffer von sage und schreibe neun Sekunden bedeutete.
Wie in Trance nahm sie den letzten Zentimeter in Angriff, doch dann spürte sie plötzlich ein unangenehmes Kratzen am Hals. Sie wölbte sich kurz auf und erblickte ein kleines Steinchen, das sich unauffällig unter ihren Körper geschoben hatte. Panisch kroch Lea weiter und unterdrückte die Schmerzen so gut es ging, bis das Steinchen unvermittelt ihre Geschlechtsöffnung erreichte und hemmungslos in sie eindrang. Lea zuckte erregt zusammen. Von unbändiger Lust übermannt schaukelte sie auf dem Steinchen hin und her, während die Zeit erbarmungslos davonraste. Verschwommen nahm sie die Ziellinie wahr, die jubelnde Menge, doch Lea wippte weiter ekstatisch auf und ab. Wie lange schon hatte sie keine Liebe mehr gespürt? Sie konnte sich nicht erinnern. Irgendwann hatte sie sich zurückgezogen und beschlossen, auf Liebe zu verzichten und nur noch Schneckenrennen zu machen, weil da ihrer Ansicht nach die Verletzungsgefahr nicht so groß ist.

Zwei Millimeter vor dem Ziel ertönte die 15-Minuten-Sirene, während Lea nach dem Höhepunkt ihres Lebens glückselig in sich zusammensackte.

.......................................................................................................................................................................
© 2009 - Manuel Lippert nach oben

Der Tod kam mit der Post

Unaufhörlich prasselte der Schnee von innen gegen die Fensterscheibe. Kalle Blanchard hatte sich eine Schneemaschine gekauft, weil ihn das ablenkte. Jetzt kriegte er das Scheißteil nicht mehr aus. Seine ganze Wohnung war schon zugeschneit. Er musste den Schlitten nehmen, wenn er aufs Klo wollte. Überhaupt war alles komisch in letzter Zeit. Die Leute fragten sich, ob es ihn noch gebe, er sei lange nicht mehr Fälle lösen gegangen. „Stimmt ja auch!“ schnauzte er sich selbst an und fühlte sich danach wesentlich leichter. Er öffnete die Tür, um draußen ein paar Schritte zu tun. Präsenz zeigen hielt er für das beste Mittel gegen das Vergessen. Blanchard, der alte Fuchs. Er dachte sogar daran, seinen Hosenlatz zuzumachen, bevor er in die Stadt einbog. „Außer Fälle lösen kann ich eigentlich nix“, dachte er dabei und rümpfte die Nase. Aufmerksam beobachtete er das Treiben um sich herum. Er sah Menschen mit Einkaufstüten, die durcheinander rannten.

Die meisten begrüßte er nicht. Doch da, das kleine Mädchen mit der Puppe im Arm. „Na, du wirst auch immer hässlicher, was? Hier, ein Bonbon“. Er wühlte in seiner Manteltasche und brachte ein fusseliges Eukalyptusbonbon zum Vorschein, das er ohne Papier dort aufbewahrt hatte, denn das Papier brauchte er damals, um verdächtige Hausnummern zu notieren. Das allein brachte ihm eine Auszeichnung von ranghöchster Stelle ein. Das kleine Mädchen schnappte nach dem Bonbon, doch Kalle schmiss es zu Boden und machte auf dem Absatz kehrt. Er brauchte das Abenteuer. Plötzlich war Mittwoch. Langsamen Schrittes nebulierte er durch die Gassen. Den Blick angestrengt nach hinten gerichtet, die Füße parallel. Z, der ihm seit geraumer Zeit folgte, hatte sich eine Gasmaske aufgesetzt, weil Kalle heute mehr als sonst furzte. Trotzdem blieb er ihm treu, vielleicht auch, weil er das insgeheim an ihm mochte. „Irgendwann will ich mal nach Island“, sagte Kalle zu Z und sah ihn dabei an, als hätte ihn das nicht im Geringsten zu interessieren. Er summte Zukunftsmusik. Doch dann vernahm er ein deutliches Rascheln unter seiner Schuhsohle. Er bückte sich und hob einen Briefumschlag auf. Als wüsste er genau, was vor sich geht, öffnete er ihn. „Nä, guck mal, Z, hier ist ein toter Mann im Umschlag, den hat die Gesellschaft wohl abgestempelt“, schob er sich aus dem Mund und lachte intensiv über seinen vorzüglichen Humor. Z kam sofort angewedelt und erstarrte beim ersten Anblick des Verbrechens. Zusammengefaltet steckte der Tote im Kuvert. Kalle machte sich auf die Suche nach dem Absender, um den Fall schnell zu lösen, doch er konnte keinen finden. „Mist“, parierte er die Situation und ging nach Hause. Dort ließ er sich in den Reflexsessel fallen und steckte sich eine Zigarette an. Den Sessel hatte er neu erfunden, um sich die Arbeit zu erleichtern und auch mal Home-office machen zu können. Dann lud er potentielle Verbrecher unter Vorwänden zu sich ein und ließ sie im Reflexsessel Platz nehmen. In dem Sessel ist eine Datenbank, die sofort überprüft, wer da sitzt. Ist es ein Verbrecher, schlägt der Sessel zu und verhaftet ihn. Kalle hat so schon viele Fälle abgekürzt. Manchmal war er selber gar nicht vor Ort, sondern irgendwo Kaffee trinken und hat den Sessel die Sache alleine erledigen lassen. Er musste dann nur noch der untätigen Polizei die Formalitäten morsen. Für Home-office-Fälle bekommt Kalle immer 1000 Mark auf die Hand und ist deshalb fünftreichster Bürger. Von dem Geld plant er demnächst eine Reflexsessellandschaft aufzumachen und alle Verbrecher der Welt auf einmal zu überführen. Vielleicht versäuft er die Kohle auch, er weiß es noch nicht genau. Aber jetzt saß ja gar kein Verbrecher im Reflexsessel, sondern Kalle Blanchard. Die Datenbank bestätigte es: Blanchard, Kalle, bester Detektiv der Welt. Sodann startete der Sessel das Massageprogramm. Kalle wurde wohl um den Schritt, er grunzte kurz auf und nickte dann ein. Mit einer Idee wachte er keine fünf Minuten später wieder auf. „Der Mörder will ein Spiel mit mir spielen, aber warum?“ entglitt es ihm. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er rannte aus dem Haus zur nächsten Post. Schalter 3 war besetzt.

Dort stellte er sich unauffällig in die Schlange und beobachtete die junge Angestellte, die nun nervös wurde. Erst jetzt merkte Kalle, dass der ganze Tag einen Sinn ergab, er hatte nämlich dem kleinen Mädchen mit dem Bonbon heimlich die Puppe geklaut, und die war jetzt sein wichtigstes Werkzeug. Als er an der Reihe war, wurde die Schlampe richtig hektisch und wollte Feierabend machen, doch Kalle zog sie mit seinem Röntgenblick so stark in den Bann, dass sie ihn natürlich auch noch bediente. Kalle zog die Puppe hervor. „Ich will diese Puppe hier im Umschlag verschicken, helfen sie mir falten!“ befahl er. Die Sau begann zu schwitzen. Mit zwei Handgriffen stopfte sie die Puppe in den Briefumschlag. „Alter Falter“, schnorchelte Kalle, denn nur er weiß, wie nah knallhartes Auftreten und Witzchen machen beieinander liegen. Sie glotzte ihn an, als hätte er einen Autoreifen um den Hals, was er manchmal tatsächlich hat, wenn er mit dem Universum in Verbindung tritt. Um ihr auf die Sprünge zu helfen, holte er den toten Mann aus seiner Aktentasche und knallte ihn auf den Tisch. „Sehen sie das?“ fuhr er sie an. „Ja“, antwortete sie. „Und damit haben sie wirklich nichts zu tun?“ drängte er sie in die Ecke. „Nee“. „Dann geben sie sofort die Puppe wieder her“, schrie Kalle zurück. Er riss sie ihr aus dem Arm und wünschte ihr einen beschissenen Feierabend. Er ging in einen anderen Stadtteil, von dem er sich mehr versprach. In weiter Ferne erkannte er Z, der einem Briefträger hinterher rannte. Kalle fuhr seinen Arm aus, der länger ist als der Arm des normalen Gesetzes, und brachte ihn zum Erliegen. Unheilvoll beugte er sich über ihn und zuckte erschrocken zusammen. Es war der Mann mit den roten Zähnen, der schon so jedes Verbrechen dieser Welt begangen hat und Kalles Zugriff damals nur deshalb entgehen konnte, weil er sich im Moment der Verhaftung als Kalle Blanchard verkleidete, ihn in ein interessantes Selbstgespräch verwickelte und floh. Doch heute war Endstation. Heute drehte Kalle den Spieß um. Etwas überheblich setzte er sich das rote Gebiss in die Fresse und grinste diabolisch.

„Tatütata“, herrschte er ihn an, „hast du den toten Mann in den Umschlag gefaltet?“ Der Mann mit den roten Zähnen nickte. „Warum?“ fragte Kalle. Doch noch bevor er antworten konnte, steckte er ihn in die Zelle. Für den Rückweg wählte Kalle die Straße, in der die meisten seiner zahlreichen Fans wohnten. Laut stampfend machte er auf sich aufmerksam, doch das brauchte er gar nicht. Überall waren Lampions aufgehängt, auf denen sein Name stand. Lametta säumte den Bürgersteig. Tausende Menschen knieten vor ihren Häusern und streckten ihm Wurstplatten entgegen. „So mag ich es“, erklärte er sich selbst, aß und ging weiter.

.......................................................................................................................................................................
© 2009 - Manuel Lippert nach oben

Lurch

Ein Lurch ergießt sich auf Asphalt,
er kam aus weiter Ferne,
sein Schoß ist warm, die Welt ist kalt,
er mag sich selber gerne.

Verlegen kratzt er sich im Schritt,
um ihn herum herrscht Stille,
jetzt geht die Welt, und er geht mit,
es war sein freier Wille.

.......................................................................................................................................................................
© 2008 - Manuel Lippert nach oben

En garde, Arschloch!

Kalle konnte sich nicht zwischen den Frauen entscheiden. Soll er die nehmen, die ihm zu Füßen liegt oder doch die, die sich ihm in den Weg stellte? Jetzt war Taktik geboten. Er riss ein Stück Teppich vom Fußboden und schnäuzte sich. „Oh ja“, befahl er seinen Gedanken und vergaß den Grund seines Daseins. Überrascht blickte er um sich. An der Wand hing ein tibetanischer Degen, eine Uniform von Napoleon in original und zig Handschellen. „Wer bin ich denn?“ frug er. Ganz vorsichtig öffnete er die Tür und schaute sich argwöhnisch um. An der Litfasssäule lehnte ein Pfund Mett und zwinkerte ihm zu. Kalle ließ sich ein Autogramm geben. Es war verkehrt. Wenn hier jemand Autogramme verteilt, dann ist er das selber.

Kalle war offensichtlich das Opfer einer Vertauschung geworden. Wie schrecklich das ist, kann man nur erahnen. Er ging zur nächsten Bank, räumte sein Konto und setzte sich in den Nachtzug nach Marseille. Von dort flog er nach Dayton, Ohio. Der Bürgermeister begrüßte ihn freundlich: „Schön, dass wir uns mal daten“, ließ Kalle ihn abblitzen. Aha, Witze funktionierten also. Das war ein erster Anhaltspunkt dafür, dass er möglicherweise Kalle Blanchard ist, doch er war sich noch nicht ganz sicher. In der untergehenden Abendsonne schlenderte er am Ufer des Flusses entlang und dachte nach. „Die Welt ist mein Zuhause“, sinnierte er und beobachtete eine Amsel, die sich ihm im Gleitflug näherte. In ihrem Schnabel hielt sie eine wichtige Information fest. Kalle ignorierte es. Ihm war mulmig zumute. Spaziergänger starrten ihn an, manche zeigten mit dem Finger auf ihn. Eine Brünette schenkte ihm Kaffee ein. „Danke“, entglitt es ihm. Das war jetzt wieder eher ein Indiz dafür, dass er vertauscht wurde, denn Kalle sagt eigentlich nie Danke. Verwirrung pur. Am nächsten Tag sattelte Kalle sich selber und ritt hinaus in die Natur. Der Morgentau bedeckte noch das jungfräuliche Gras, die Baumwipfel wogen salbungsvoll im Wind, der von Westen kam. An einer Lichtung machte er Halt. Vor seinen Füßen plätscherte ein Gebirgsbach unschuldig daher. Er beugte sich über das Wasser und sah sich prüfend an. „Oh, peinlich, ich bin ja Kalle Blanchard“, sagte er eine Sekunde später.

Da kam auch schon die Amsel wieder vorbei. Dieses Mal zögerte Kalle nicht und nahm die Information aus ihrem Schnabel: Du bist hier um Fälle zu lösen. Kalle jubelte. Die Vertauschung war besiegt. Schnell kaufte er sich im nächsten Karnevalsladen ein Turbinenkostüm, rannte zum Flughafen und schaffte es noch so gerade, sich an der Tragfläche vom Flugzeug festzuhalten. In Rotterdam, dem Sitz seiner Detektei, machte er sich sogleich an die Arbeit. Die Detektivzeitung hatte mehrere Fälle im Angebot, Mörder, Diebe, Gauner, Betrüger. „Alles zu öde“, winkte Kalle ab. Doch da, ein Fall schien ihn zu interessieren. Da war von Belohnung die Rede, eine Million Dollar, wenn der Fall bis Dienstag gelöst ist. Heute war Dienstag. „Das schaff ich noch“, schrie Kalle und fiel mit der Tür ins Haus. Dort setzte er sich auf den Rekapitulationssessel (der neben dem Reflexsessel) und spielte den Fall durch, so wie er sich bislang zugetragen hatte. „Weiblicher Typ, circa 1,90, vermutlich amerikanischer Staatsbürger, benutzt Pfeil und Bogen, ich werde ihn ausschalten“, resümierte er. Eine heiße Fährte führte ihn zum griechischen Obsthändler an der Ecke. Er kaufte einen saftigen Apfel und befestigte ihn auf seinem Kopf. Auf die Idee muss man erstmal kommen. Doch für Kalle war das normal, er hatte immer die richtige Idee zur richtigen Zeit. Deshalb löst er ja auch jeden Fall, den die Polizei nicht aufklären kann, weil sie nicht bis drei zählt. Mit dem Apfel auf dem Kopf begab Kalle sich in die Lichter der Großstadt. Dort probierte er seine neueste Erfindung aus, das Schattenantigehorchprogramm. Ein Mikroprozessor mit 1000 Watt Leistung, der sich in der Wirbelsäule befindet und die Schattenbildung manipuliert. Beugt Kalle sich nach links, beugt sich der Schatten nach rechts. Springt er hoch, rollt sich der Schatten ab. Ein perfektes Mittel, um seine Spuren zu verwischen, wenn er jemand auflauert.

Er kann den Mikroprozessor sogar so einstellen, dass sein Schatten aussieht wie ein Panzer, der einen gleich überrollt, falls mal Krieg ist (bitte achten Sie an dieser Stelle auch auf Kalles nächsten Fall: Im Krieg ist alles bilateral). Jetzt schaltete Kalle den Prozessor so ein, dass sein Schatten auf dem Kopf steht. Schelmisch schlich er durch die Einkaufspassagen und hielt Ausschau nach dem vermutlich amerikanischen Staatsbürger mit Pfeil und Bogen, der im Kriminallexikon Joe the Bow genannt wird. Kalle schlich so langsam, dass er fast einschlief. Aber Z hielt Wache und stupste ihn immer wieder an. Er ist so hässlich und doch so treu. Kalle tätschelte ihn, er war ihm ans Herz gewachsen, obwohl er ihn anwiderte. Nach drei Stunden war er Joe the Bow noch kein einziges Mal begegnet, dafür spielten sich andere Szenen ab. Kalle schaute auf die Uhr. „Ich muss den Fall bald lösen, sonst kann ich das mit der Belohnung abhaken“, grunzte er ungeduldig. Er blickte hinauf auf das Dach eines Kaufhauses und hörte auffällige Klettergeräusche. „Ha, da ist er!“ trällerte er gutgelaunt. „Oh, doch nicht“, schob er gleich hinterher, denn es war nur eine Katze, die spielte. Kalle wurde nun fast wahnsinnig. Er verließ die Gegend und steuerte die Hauptstraße an, eine Pappelallee wie aus dem Bilderbuch. Hinter einer Tageszeitung verschanzte er sich. Leider funktionierte das mit dem Schatten nicht so gut, denn da verschanzte sich die Zeitung auf einmal hinter Kalle. Egal, es war auf jeden Fall clever, denn urplötzlich huschte Joe the Bow hinter einem Lastwagen hervor und legte an. Kalle raschelte mit der Zeitung. Vor Schreck rutschte Joe the Bow der Pfeil ab und durchsiebte einen dahergelaufenen Kojoten, der gerade einer Oma die Handtasche klauen wollte.

Etwas von oben herab musterte Kalle den sterbenden Kojoten und wandte sich dann Joe the Bow zu. „Du hast den Bogen überspannt“, las er ihm trocken vor und grinste ihn überlegen an. „Weiß ich doch alles“, entgegnete Joe the Bow und ließ sich abführen. „Aber eine Sache muss ich dir noch sagen, bevor ich hänge: Ich habe noch nie in meinem Leben einen derart lustigen und zugleich knallharten Detektiv getroffen wie dich, Hut ab!“ Da ließ Kalle ihn wieder frei.

.......................................................................................................................................................................
© 2009 - Manuel Lippert nach oben

Heine oder keine

Spazierte einst durch Düsseldorf,
traf dort auf H Punkt Heine,
er klagte über Rüsselschorf,
ich über müde Beine.

Gestrandet wie enfants perdus,
aufsässig wie die Weber,
versoffen wir wohl zig Grands Crus,
es zuckte in der Leber.

Verzückt erblickten wir alsdann,
auf einer Rheingaleere,
des Kaisers treuesten Untertan,
die alte Zensorschere.

Gleich hintendran im Sklavenboot,
ein Reisebild vom Feinsten,
der Deutsche Michel, puterrot,
er hatte von allen den Kleinsten.

Noch ein Mal wurde er Harry gewahr,
es züngelten Zornesflammen,
er wollte ihn mit Haut und Haar
in Dantes Höll’ verdammen.

Doch ach, er machte sich lächerlich
und zeterte wie von Sinnen,
so ganz kamaschenritterlich,
die Pickelhauben, die spinnen.

Da plötzlich, Rascheln im Gebüsch!
Hervor kroch J.W. Goethe,
im Mäntelchen aus Samt und Plüsch,
sein Haupt voll Schamesröte.

„Verzeih’ mir, Harry, dass ich dich
so unterkühlt empfangen,
war zögerlich, recht bürgerlich,
konventionell befangen.“

„Warum kommst du mit so was nun
nach hundertachtzig Jahren?
Das ist recht spät und grad posthum
ein komisches Gebaren.

Auch ging es mir doch gar nicht so
bei dir um Lob und Segnung,
so war die Audienz en gros
’ne belanglose Begegnung.“

So zog er fort und ward so klug
als wie zuvor, der Arme,
wir schütteten in einem Zug
den Schnaps in unser’n Darme.

Derweil schien uns’re Sommernacht
fast wie ein Wintermärchen,
halbnackt kletterte aus dem Schacht
Amalie ohne Herrchen.

Begierde brauste in Harry auf,
ich konnt’ ihn fast nicht halten,
beinahe lag er auf ihr drauf
und nahm sie mit Gewalten.

Doch ließ er ab und starrte nur
gebannt auf ihre Brüste,
es mochten auch die Augen sein,
wenn ich’s nicht besser wüsste.

Er dachte sich, er mache halt
genug gute Avancen,
ergeben täten sich dann bald
die allerbesten Chancen.

So hielt er es für opportun
und lupfte ihren Mieder,
doch was sah’n seine Augen nun?
Sein eig’nes Buch der Lieder!

Jetzt blitzte es am Firmament,
Amalie war in Rage,
und Harry wurde renitent,
wollt’ Liebe gegen Gage.

So nahm das Schicksal seinen Gang,
und sie sprach unumwunden:
„zieh’ dir das Geld die Kimme lang“,
und ward abrupt verschwunden.

Entsetzen stand ihm ins Gesicht,
und auch ein blödes Grinsen,
besonders clever war das nicht,
ging amtlich in die Binsen.

Wir kamen schließlich überein
das Ganze zu vergessen,
es gibt, da kann man sicher sein,
noch andere Mätressen.

Der Korken flog, der letzte Sekt,
wir tranken auf das Leben,
auf Liebe, Anstand und Respekt,
und andere Kollegen.

Da zeigten sich am Horizont
die ersten Sonnenstrahlen,
und sorgten in der Schläfenfront
für infernale Qualen.

Hier schlossen wir, ’s war höchste Zeit
für die Matratzengruft,
schon waberte die Wirklichkeit
verdächtig in der Luft.

„Hey, Harry, hat echt Spaß gemacht,
lang nicht mehr so gesoffen,
bis bald, vielleicht schon nächste Nacht?
Was bleibt mir sonst zu hoffen.“

.......................................................................................................................................................................
© 2009 - Manuel Lippert nach oben

ich_du

jetzt
fühle ich
im kleinen
dich groß

dort
bist du
nah
ganz weit

kann nicht sehen
nur dich
so stark
zerbrechlich

schon vergessen?
drück dich aus
wir sind
eben hier

gemeinsam
einsam
bist du
bin ich

geh nicht
bleib
beweg dich

frei

.......................................................................................................................................................................
© 2005 - Manuel Lippert nach oben

Der große Plan

der große Plan, der Schritt in die Freiheit, wir lassen alles liegen
wir ziehen dahin, mit Tränen, die wir kaum verstehen
ein seltsames Gefühl im Bauch
ist alles wahr?

erkenne was wichtig, dich, dein, du
Zeit?
keine Ahnung, die große Weisheit
ist das alles?

der Blick nach vorn, getrübt
zurück?
Ohnmacht, siehst du nicht?
alles Vernunft

Herz, natürlich
ohne Opfer, Liebe
es muss so sein, der Ewigkeit halber
lieber morgen als heute

suchen, und weiter
mündliche Verträge sind gültig
spielen wir?
sind wir sicher?

ach komm schon, keine Angst
bleib noch
mir vom Leib
wie schön du bist

Schmerz auf Abruf
sehe nur Zweifel
vor allem
uns?

es klopft
der Tod?
mache ihm nicht auf
ist nicht mein Typ

wer dann?
du?
der große Plan?
ich?

gib nicht auf
noch soviel Zeit
rinnt davon

und alles wahr?

.......................................................................................................................................................................
© 2001 - Manuel Lippert nach oben

Ode an den Ball

Groß ist, mächtiger Ball, deiner Ausstrahlung Kraft,
auf der Wiese liegst du, harrend dem heil’gen Fuß,
der den goldenen Schuss setzt
und dich hart in den Winkel schießt.

.......................................................................................................................................................................
© 2007 - Manuel Lippert nach oben

Kein Drehbuch

Aufblende: Vollmond in Totale am Horizont.
Es ist früher Morgen, die Sonne geht auf. Davor zieht eine Fliege ihre Kreise, sie grinst hässlich in die Kamera (Vollzoom).
Aus der Ferne ertönt ein Pferd. Lautes Wiehern und Hufengeräusch, wie ein richtiges Pferd. Hektisch schwenkt die Kamera um, dreht sich einmal im Kreis, doch ein Pferd ist nirgends zu sehen.
Gespenstische Musik säuselt im Hintergrund. Kamera fängt wieder die Fliege ein. Sie lässt sich auf dem knorrigen Ast einer einsamen Korkeiche nieder, an dem ein abgerissener Strick im Wind baumelt. Ein umgekippter Holzschemel liegt im Staub. Hintergrund: Endlose Weiten, Sand und Schotter, ein Kaktus, am Horizont Gebirgszüge, ein Geier kreuzt das Bild.
Sprecher (flüsternd): Schauen sie sich diese Fliege an, wie sie da auf dem Ast sitzt und vor dieser großartigen Kulisse verschnauft. (Kamera hält 30 Sekunden auf die Fliege).
Sprecher (kaum hörbar): Und jetzt vergessen sie sie wieder ganz schnell. (Kamera dreht sich ganz langsam um 180 Grad und fängt eine Stadt ein).
Sprecher (piano forte): Goddamn City, New Mexico, das El Dorado der Gesäßlosen. Denkt man, doch die Realität verschweigt nicht, dass es hier auch Arschlöcher gibt. (Ausblende)

Aufblende: Sheriff John Wacker (sprich: Djonnweika) steht vor einem matten Spiegel und rasiert sich mit einem Schlachtermesser. Er ist knallhart und rechtschaffen. (Kamera zeigt sein Gesicht im Spiegel). Seine Gesichtszüge sind milde, doch sein Blick verrät, dass er gerne kurzen Prozess macht.
Sein Haupt ziert ein großer brauner Filzhut. Auf seiner Lederkutte ist hinten ein großer blauer Stern draufgenäht, daran erkennt man, dass er Sheriff ist. Schweiß rinnt ihm über die braungebrannten Wangen.
Sheriff (zischt in den Spiegel ohne eine Miene zu verziehen): Wie lange werden Sie mit ihrem Filmteam hier bleiben?
Kameramann: Wie bitte?
Sheriff (laut): Wie lange ihr eure verranzten Ärsche in meiner Stadt parkt! Hört ihr denn nie zu, ihr verkackten Typen? Sheriff dreht sich harsch um, wobei er mit der Hand, die das Schlachtermesser festhält, etwas vom Rasiertisch umstößt. Kameramann erschreckt sich (Huch!) und macht einen Schritt rückwärts. So kommt aus Versehen der Kabelträger kurz mit aufs Bild (schwarze Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze Haare, hager, blass).
Sheriff (schroff): Heb das auf, was da gerade auf den Boden gefallen ist, du Hund. Kabelträger tut wie ihm geheißen. Er bückt sich schüchtern und hebt einen Metallständer auf, an dem ein Wimpel befestigt ist.
Kameramann (interessiert): Was ist denn das?
Sheriff (desinteressiert): Das ist das Stadtwappen von Krefeld. Krefeld ist seit zwei Jahren Partnerstadt von Goddamn City.
Kameramann (anerkennend): Klasse! (Sheriff sieht ihn verächtlich an)
Frauenstimme (grell, aus dem Nachbarzimmer): Kommen sie noch mal zurück ins Bett, Sheriff?
Sheriff (deutlich): Ja, aber erst heute Abend. Der Sheriff unterbricht seine Rasur und rammt das Messer in den Rasiertisch. Die linke Hälfte seines Schnurrbarts lässt er stehen.
Frau (raunend; synchron Ausblende): Was für ein Mann.
 
Aufblende: Der Sheriff öffnet das Fenster seines Büros, lässt seinen Blick über die staubige Hauptstraße schweifen und knallt es wuchtig wieder zu (Kamera zeigt den Sheriff komplett von hinten, wie er da steht).
Sheriff (dreht sich um, verharrt, senkt seinen Blick kurz zu Boden, massiert zunächst sein Kinn mit der rechten Hand, dann kurz seinen Nacken, um schließlich an die Zimmerdecke zu glotzen und auszuschreien): Ich habe zu tun, das Schlechte fordert mich heraus.
Wortlos geht er über den knatschenden Dielenboden zum Ausgang (Kamera folgt ihm dicht, Zoom auf die Stiefel, an der rechten Spore hängen Pferdehaare), die Absätze seiner Stiefel erzeugen einen ohrenbetäubenden Lärm. Der Sheriff tritt hinaus auf die Straße (Kamera von Straße, Sheriff in Vollbild, Froschperspektive).
Sheriff (gelangweilt): Die Nacht war kalt. Im Vorbeigehen befreit er seinen Gaul von einer leichten Schneedecke.
Sheriff (raunend, zum Gaul): Ich werde jetzt noch nicht auf dir reiten. Er zündet sich eine Zigarette an und biegt langsamen Schrittes in eine Seitenstraße ein (Kamera hält Position und schwenkt mit Sheriff mit).
Sheriff: Erstmal shoppen gehen. Der Sheriff steuert auf ein Haus zu. An seiner Fassade hängt ein großes Schild, auf dem „Mercado“ steht. Der Sheriff macht eine kurze Finte und betritt den Salon.
Verkäufer (aufgeregt): Sheriff! (Dem Verkäufer entgleitet ein lauter Furz). Einmal wie immer?
Sheriff: Ja.
Der Verkäufer reicht ihm eine Papiertüte, der Sheriff reißt sie ihm aus der Hand und knallt ihm zwei Kupfermünzen auf den Tresen. Dabei beugt er sich ganz nah zur Hüfte des Verkäufers und schnuppert.
Sheriff: Respekt! Würdest du so schießen wie du furzt, dann ... (Unter schallendem Gelächter tritt der Sheriff hinaus auf die staubige Straße)
Er überquert den Marktplatz, auf dem er gestern einen neuen Galgen installieren ließ. Eigentlich mag er keine Galgen. Er denkt, dass die heutige Jugend dort abhängen würde. Und wenn Todesstrafe, dann Mann gegen Mann. Das ist sein Credo. Aus Protest stellt er ein großes Schild auf (Kamera zeigt auf Schild: Abhängen verboten). Viele Bewohner dieser Stadt machen sich darüber lustig, vor allem am Wochenende.

Der Sheriff ist auf dem Weg zum Bahnhof. Er hat sich eine neue Pistole bestellt (Kamera zeigt Wackers Halfter, in dem ein Colt steckt, dessen Lauf abgebrochen ist). Mit dem ersten Zug aus El Paso soll die Pistole eintreffen. Er will sie direkt am Bahnsteig abholen. Er freut sich seit Tagen auf diesen Moment.

Kurz vorm Bahnhof kommt ihm der Schlenderer entgegen. Er ist stadtbekannt. Er schläft nie. Nachts sitzt er im Saloon und lässt sich volllaufen, tagsüber schlendert er durch die Gegend. Er nimmt immer den gleichen Weg, daher ist er berechenbar und harmlos. Trotzdem will ihm der Sheriff aus dem Weg gehen. Er mag den Schlenderer nämlich nicht. Er ist neidisch, weil der so viel Freizeit hat und er nicht. Im Zickzack versucht er ihm auszuweichen, doch das klappt nicht. In der Mitte der Straße treffen sich ihre Blicke. Es ergibt sich eine zwiespältige Diskussion.
Sheriff: Ich will nicht wissen, was sie gerade denken.
Ohne eine Miene zu verziehen, gehen sie weiter. Dem Sheriff ist entgangen, dass der Schlenderer heute nur seine Badeschlappen anhatte. Er hätte ihm also mühelos mit seinen schweren Stiefeln auf die Füße treten können, um ihn zu verletzen. Im Nachhinein ärgert den Sheriff das aber nicht, er hat es ja nicht bemerkt (Kamera fängt den entspannten Gesichtsausdruck des Sheriffs ein).

Die Sonne brennt. Das Gesicht des Sheriffs glänzt nun. Schweißtropfen perlen von seiner Stirn. Goddamn City ist die wärmste Stadt der Welt. Wenn die Sonne im Zenit steht, wird es dort unerträglich heiß. Der Sheriff spaltet eine Kaktee und labt sich an ihrem Saft. Ah,  sagt der Sheriff dann.
Er erreicht den Bahnhof und sieht von weitem Rauchwolken aufsteigen. Die Dampflok kämpft sich die letzten Meter heran und bleibt direkt vor dem Sheriff stehen. Der Lokführer steigt aus, geht vor dem Sheriff auf die Knie und überreicht ihm mit gesenktem Kopf die neue Pistole. Sie ist fast so breit wie lang, damit man nicht danebenschießen kann. Eine Spezialanfertigung für den Sheriff. Der Sheriff schlägt ein Tauschgeschäft vor.
Sheriff: Die Pistole gegen diesen Sack Mehl, hier!
Der Lokführer willigt ein. Da sieht der Sheriff im Augenwinkel zwei Gestalten, die sich aus dem letzten Waggon schleichen. Sie sind ungleich groß. Man könnte sogar sagen, der eine ist groß und der andere ist klein. Sie scheinen Geistliche zu sein, denn sie tragen dunkle Kleidung. Oder ist das Tarnung? Der Sheriff atmet tief ein, dann atmet er wieder aus. Er stellt sich ihnen in den Weg.
Sheriff: Kennwort?
Gestalten: The future is now.
Sheriff: Richtig. Wer sind sie und was machen sie hier?
Gestalten: Man nennt mich Billy the Shit, und das ist mein Kumpel T-Bone Miller. Wir wollen uns hier mal so umsehen.
Sheriff: Soso, Billy the Shit und T-Bone Miller. Sind sie vorbestraft?
Gestalten: Aber Nein.
Sheriff: Gut, ich glaube ihnen. Bis dann.
Der Sheriff wirft den Gestalten einen unterschwelligen Blick zu und macht auf dem Absatz kehrt.
Toll, wie sie das gerade gemacht haben. Auf Wiedersehen, Sheriff, ruft ihm der Lokführer zu, doch der Sheriff hört es nicht mehr. Er ist längst zurück an seinem Schreibtisch.

Sprecher: Billy the Shit und T-Bone Miller sind auf seine Gutgläubigkeit hereingefallen. Natürlich weiß der Sheriff, wer Billy the Shit und T-Bone Miller sind. Sie sind Banditen. Ganoven aus einer anderen Stadt.

Der Sheriff lehnt sich in seinem Ledersessel zurück, verschränkt die Arme hinter seinem Nacken und beginnt nachzudenken. Er legt seine Beine auf den massiven Schreibtisch. An seiner Schuhsohle klebt Hundescheiße. Er greift in eine Schublade und zieht eine kleine Flasche Doppelkorn hervor.
Sheriff: Mist, ist alle.
Er stützt sich mit dem rechten Ellbogen auf die Armlehne seines Stuhls und hebt die linke Pobacke an. Es gibt einen lauten Knall. Der Sheriff hat gefurzt. Ein Ritual. Seine Sekretärin gehorcht. Sofort kommt sie durch die Tür gerannt.
Sekretärin: Was gibt’s, Sheriff?
Sheriff: Nenn mich nicht Sheriff, du Schlampe. Für dich heiße ich heute Klaus.
Sekretärin: Klaus steht ihnen sehr gut.
Sheriff: Mir steht grade noch was ganz anderes sehr gut.
Der Sheriff verzieht sein Gesicht und guckt der Sekretärin durch kleine Sehschlitze frivol und bedrohlich in die Augen. Mit dem Zeigefinger lenkt er den Blick der Sekretärin auf seine Hose.
Sekretärin: Aber steht der bei ihnen nicht immer?
Sheriff: Nun ja.

Sprecher: Die Sekretärin ist verdorben, das weiß der Sheriff. Sie hat es ihm schon oft durch die Blumen gesagt. Um ihren faltigen Hals trägt sie eine verklebte Boa-Feder. Der Sheriff könnte regelmäßig kotzen, wenn er sie sieht. Oft gibt er ihr schallende Ohrfeigen aus Langeweile. Es gefällt ihr jedes mal.

Heute gibt der Sheriff ihr nur einen Einkaufszettel. Sie verschwindet damit wortlos. Die Turmuhr schlägt neun Mal.
Der Sheriff geht in seinem Büro auf und ab. In den Händen hält er seine neue Pistole. Er tätschelt sie.
Sheriff: Ha, Billy the Shit und T-Bone Miller. Bald seid ihr dran. Mit mir habt ihr nicht gerechnet. Ich gebe euch noch ein bisschen Zeit, damit ihr euch hier einleben könnt, aber dann knall ich euch ab, sagen wir in zwei Wochen.

Im Stehen ruft er seinen alten Kollegen Jack an.
Sheriff: Hey Jack, alles klar bei dir? Wo bist du jetzt eigentlich Sheriff geworden?
Jack: In Polen. Und du?
Sheriff: Du wirst es nicht glauben, in Goddamn City!
Jack: Krass, Alter! Und du lebst noch?
Sheriff: Besser denn je. Du weißt doch, mich haut nichts um.
Jack: Stimmt, du warst schon immer knallhart.
Der Sheriff nickt bedächtig. Eine kurze Schweigesequenz folgt. Kamera frontal auf den eisernen Blick des Sheriffs gerichtet.
Sheriff: Sag mal, hat sich der Reiter auf dem unsichtbaren Pferd mal bei dir gemeldet?
Jack: Ja, gestern. Ich habe ihn verhaftet. Komische Geschichte. Der sagte, er habe sich das mit dem Pferd nur so ausgedacht, um vor allem älteren Menschen Angst zu machen.
Sheriff: Hab ich immer schon geahnt.
Jack: Ja, und deswegen hat er sich auch gestellt. Er meinte, du würdest ihn eh früher oder später dingfest machen.
Sheriff: Dingfest? Ich hätte ihn von oben bis unten mit Blei gefüllt.
Jack: John, du bist echt der entschlossenste Sheriff, den…
Sheriff: Laber nicht. Ich muss jetzt was essen. Bis dann.

Der Sheriff hängt den Hörer auf die Gabel, bindet sich eine Krawatte um und verlässt das Haus durch den Hinterausgang. Ein Trick, damit ihn T-Bone Miller und Billy the Shit nicht erschießen können, die am Eingang schon auf ihn warten. (Man sieht T-Bone Miller hektisch auf der Veranda auf und ab gehen, während Billy the Shit an der Hauswand lehnt und popelt).
Der Sheriff betritt den Saloon. Er wird von den Gästen freundlich begrüßt.

Sprecher: Seit der Sheriff in Goddamn City wohnt, fühlen sie sich sicher, und das zeigen sie ihm auch. Der Sheriff darf in jedem Haushalt aus und ein gehen und sich nach Belieben nehmen, was er will. Letzte Nacht nahm er sich die Frau vom Kutschenverleiher. Das war die, die ihn gefragt hat, ob er noch mal zurück ins Bett kommt. Aber da hat er ja Nein gesagt, daher ist der Kutschenverleiher auch nicht sauer.

An der Decke des Saloons hängt ein riesiger Ventilator. Er dreht sich behäbig. In der Ecke sitzt ein Mann, der einsam ist. Er spielt Banjo vor sich hin. Es ist eine traurige Melodie. Sie erzählt uns von besseren Tagen. Der Sheriff gibt dem einsamen Mann einen Dollar, damit er was Fetziges spielt.

Der Sheriff und der Kellner klatschen sich schwungvoll ab. Danach nimmt der Sheriff an seinem angestammten Tisch Platz. Direkt vorm Fenster, damit er schön rausgucken kann in die Natur. Hinter dem Fenster ist riesiges Weideland. (Die Kamera zeigt viele Kühe, denen es auf dem Acker sehr gut geht).

Sprecher: Nach dem Essen wird der Sheriff seine übliche Runde durch die Stadt machen. Dabei wird er auch überprüfen, ob es den Kühen wirklich so gut geht, oder doch nicht?

Der Sheriff bestellt einen herzhaften Salat mit Putenbruststreifen.
Kellner: Heute kein Steak mit dicken Bohnen?
Sheriff: Dann hätte ich es ja wohl bestellt, was?
Der Sheriff lacht schallend. Alle Gäste lachen mit. Am Nebentisch tuscheln die Damen.
Dame 1: Der Sheriff hat einen tollen Humor.
Dame 2: Ja, ich glaube, unter seiner harten Schale schlummert ein weicher Kern.
Der Sheriff lauscht. Das lenkt ihn ab. So kriegt er nicht mit, dass T-Bone Miller und Billy the Shit vor dem Fenster Grimassen schneiden.

Peng! Da ertönt ein Schuss. T-Bone Miller hat seine Schrotflinte aus Versehen entsichert und ein kleines Loch in die Straße geschossen. Das ist Billy the Shit sehr peinlich. Er schämt sich für T-Bone Miller und wird leicht nervös, weil jetzt auch der Sheriff auf die Straße stürzt. Es kommt zur zweiten Begegnung zwischen den dreien. Sie wird gut ausgehen, weil der Film hier noch längst nicht zu Ende ist. Der Sheriff tut weiterhin so, als habe er nicht die geringste Ahnung, wer die beiden wirklich sind.
Sheriff: Muss das denn sein? Ihr seid gerade erst zugezogen, und schon macht ihr Ärger!
Billy the Shit: Sorry! und zu T-Bone Miller: Hey T-Bone, sieh zu, dass du das Loch wegmachst und dich beim Sheriff entschuldigst!
T-Bone Miller (stotternd): Tut mir echt leid, Sheriff.
Sheriff (beschwichtigend): Schon gut, kann ja mal passieren. Aber warum tragt ihr ein Schießeisen mit euch herum?
Billy the Shit und T-Bone Miller (unisono, scheinheilig): Ach, wir wollten nur so … dachten uns halt …
Sheriff (unterbricht schroff): Könnt ihr nicht vernünftig reden?
Billy the Shit: Naja, es gibt ja hier auch böse Menschen, die einem was antun wollen, und da dachten wir uns halt, wenn mal was passiert, können wir uns verteidigen.
Sheriff: Soso, böse Menschen.
Zum ersten Mal gibt der Sheriff um einen Deut preis, dass er den beiden womöglich nicht glaubt. Er legt seinen Kopf nämlich leicht in den Nacken, um dann einen prüfenden Blick aufzulegen. T-Bone Miller und Billy the Shit merken nicht, dass der Sheriff sie verarscht.
Sheriff: Ich sehe weit und breit keinen einzigen bösen Menschen. Ihr vielleicht?
T-Bone Miller und Billy the Shit schütteln heftig mit dem Kopf, bedanken sich beim Sheriff und verabschieden sich fürs erste. Sie ziehen Richtung Westen davon, wo ihr Hotel steht. Es ist das Hotel „Zum räudigen Bastard“. Ein Zeichen?

Der Sheriff schaut ihnen kurz nach. Dazu bewegt er leicht die Lippen, man kann aber nicht hören, was er sagt. Dann dreht er sich um und geht wieder zurück zu seinem Tisch. Der Salat erwartet ihn schon. Er sieht knackig aus. Dem Sheriff läuft das Wasser im Munde zusammen. Ein bisschen Wasser läuft sogar raus. Er nimmt sich eine Gabel und sticht zu. In zwei Minuten hat er den kompletten Salat in sich reingeschaufelt. Nur ein kleines Stück Putenbrust hebt er auf. Damit stopft er das Loch in der Straße. Bisschen Staub drüber gewedelt, und damit hat es sich.

Der Sheriff ist sehr glücklich. Er hat lecker gegessen, T-Bone Miller und Billy the Shit verhohnepiepelt und das Loch in der Straße repariert. Deswegen geht er an den Tresen, um das Essen mit einem Schnaps runterzuspülen. Unauffällig platziert er eine Wanze unterm Tresen, für den Fall, dass T-Bone Miller und Billy the Shit sich da mal hinsetzen, um Pläne zu schmieden. Dann wüsste der Sheriff sofort Bescheid und könnte sich darauf einstellen. Der Barkeeper reicht ihm eine Flasche Whiskey. Der Sheriff nimmt die Flasche in die Hand, schwenkt sie behutsam und beobachtet den Strudel, den er in der Flasche erzeugt hat. Anschließend stellt er die Flasche auf den Tresen und nickt dem Barkeeper zu.
Sheriff: Das ist ein guter Tropfen. Ich nehme einen Schluck.
Barkeeper: Ich werde ihnen einschenken, Sheriff.
Sheriff: Nein, das werden sie nicht.
Der Sheriff reißt gierig den Korken aus dem Flaschenhals und legt an. Drei große Schlücke nimmt er. Man hört lautes Gluck Gluck Gluck.
Sheriff: So, dann werde ich jetzt mal frisch gestärkt meinen Rundgang antreten. Bis später, Jim. (Jim ist der Barkeeper)

Zeitgleich im Hotel „Zum räudigen Bastard“: Aus Zimmer 3 hört man lautes Grölen. T-Bone Miller und Billy the Shit haben sich zwei Huren aus der Nachbarschaft kommen lassen, die erst mit ihnen Karten spielen und sich danach durchficken lassen sollen. Es sind die verruchtesten Schlampen von Goddamn City, zufälligerweise die Töchter von der Sekretärin. Sie verdient sich damit ein Zubrot. Billy the Shit hat einen Sonderpreis ausgehandelt. Im Doppelpack kommt billiger. Insgesamt nur zehn Dollar, wenn er sie bis abends acht Uhr wieder abgibt. Jetzt ist es erst zwölf Uhr Mittag. Da ist noch viel Zeit.
Auf dem Eichentisch stehen sechs Flaschen Fusel, alle halbleer. Es wurde schon kräftig gesoffen. Die ältere Tochter trinkt zwischendurch immer Ingwertee, um in Schwung zu kommen. Die jüngere nicht. Dafür lässt sie sich gerade von T-Bone Miller flachlegen. Zwei Minuten, während Billy the Shit die Karten mischt. Sie täuscht einen Orgasmus vor. T-Bone Miller ist das egal. Er springt von ihr ab und nimmt die Karten auf.
T-Bone Miller: Vorbehalt!
Billy the Shit: Ach ja?
T-Bone Miller: Nee, vorn Latz geknallt.
Die Nutten kichern.
Billy the Shit: Schnauze, Nutten!
Sie kichern weiter. Billy the Shit klebt ihnen eine mitten ins Gesicht. Danach ist Ruhe. Aber T-Bone Miller und Billy the Shit ist die Lust am Spielen vergangen. Ficken wollen sie jetzt auch nicht mehr. Die Mädels gehen ihnen nur noch tierisch auf die Nerven. Sie werfen sie raus. Danach lehnen sich T-Bone Miller und Billy the Shit mit einer Flasche Gin aus dem Fenster und beobachten stumm das Treiben auf der Straße. Für eine Westernstadt ist es heute erstaunlich ruhig. Da kommt der Schlenderer um die Ecke. Er hat einen Kojoten an der Leine. Er schaut auf und sieht T-Bone Miller und Billy the Shit am Fenster. Er tippt mit dem Finger an seine Hutkrempe, um freundlich zu grüßen. Billy the Shit und T-Bone Miller winken ihm zu. Da reißt sich der Kojote los und läuft davon. Freiheit!

Der Sheriff ist nun schon eine ganze Stunde am durch die Stadt laufen. Er schwitzt. Als er zur Goldmine einbiegt, kommt ihm der Kojote entgegengewetzt. Der Kojote rennt an ihm vorbei. Da fällt ihm ein, dass das ja gerade der Sheriff war, der da stand. Er dreht seinen Kopf, um sich noch mal zu vergewissern, und dabei sieht er nicht nach vorne. Er rennt mit voll Karacho gegen eine Mauer. Er überlebt nicht. Wäre er besser beim Schlenderer geblieben. Der Sheriff trägt den Kojoten zu Grabe.
Sheriff: Nein, ich sollte diesen Kojoten lieber in den Saloon bringen. Dort kann er gebraten werden. Dann werde ich ihn zum Abendbrot verspeisen.
Der Sheriff rollt den Kojoten in ein Ledertuch ein und bringt ihn zum Koch.
Sprecher: Das ist Sven, der Koch. Er ist aus Norwegen eingewandert vor vielen Jahren. Man sagt, er trage ein Geheimnis mit sich herum. Manche behaupten das Gegenteil. Die üblichen Gerüchte halt.
Sheriff: Hi Sven, mach mir für heute Abend sieben Uhr den Kojoten hier warm.
Sven: Dazu werde ich Petersilienkartoffeln reichen.
Sheriff: Oh, fein!

Dann geht der Sheriff wieder flugs zurück zur Goldmine. Gerade will er sie betreten, doch was sieht er da, sie ist heute wegen Krankheit geschlossen.
Er geht weiter, bis er zu den Baumwollfeldern gelangt. Hinter einer Platane bleibt er stehen und beobachtet aus seinem Versteck die Kinder, die sich abschuften.
Da! Das gibt’s doch nicht! Ein Junge, circa 5 Jahre alt, will weglaufen. So geht das aber nicht!
Der Sheriff baut sich vor ihm auf.
Sheriff: Stehen geblieben, Freundchen! Darf man erfahren, wo du hin willst?
Junge: Ich soll eine neue Peitsche kaufen gehen für den Aufpasser!
Sheriff: Stimmt das auch, Bürschchen?
Da zeigt ihm der Junge einen Dollar. Der Sheriff weiß, dass es beim Peitschenjoe für einen Dollar Peitschen gibt. Außerdem ist es völlig unmöglich, dass der Junge soviel Geld hat, er verdient ja nichts auf dem Feld.
Sheriff: Nun gut, dann sieh mal zu, dass du hier nicht deine kostbare Zeit vertrödelst und lauf los!
Junge: Danke, Sheriff.
Der Sheriff empfiehlt sich beim Aufpasser und steuert den Schmied an. Der macht gerade neue Hufeisen für die Pferde. Wie ein Wahnsinniger schlägt er auf den Amboss ein. Alles glüht. Dann macht es Zisch! Der Schmied hat ein nagelneues Hufeisen in den Wassereimer gehalten. Stolz präsentiert er dem Sheriff das Exemplar.
Sheriff: Was für ein Geschoss, Schmied!
Schmied: Ich schenke es ihnen. Nehmen sie! Es ist aus purem Gold gemacht!
Der Sheriff packt das Hufeisen ein und verkauft es beim Händler in der Querstraße für gutes Geld.

Zur selben Zeit liegen T-Bone Miller und Billy the Shit versoffen auf dem Sofa im Hotelzimmer. Neben ihnen liegt ein vollgekritzelter Papierfetzen (Zoom Kamera). Die Überschrift gibt Anlass zur Sorge: Plan, wie wir den Sheriff um die Ecke bringen und dann ganz Goddamn City beherrschen. Darunter befindet sich eine eindeutige Skizze der Stadt, auf der man erkennen kann, dass T-Bone Miller und Billy the Shit viel mit Goddamn City vorhaben. Doch es sind keine guten Vorhaben. Auf dem historischen Marktplatz zum Beispiel soll eine Schlittschuhhalle errichtet werden.
Die Welt hält für einen Augenblick den Atem an. (5 Sekunden Standbild).

Weiter geht’s:
Der Nachmittag bricht an, die Sonne neigt sich zunehmend Richtung Erde. Da taucht aus dem Nichts ein Mann vor dem Sheriff auf. Es kommt zum Duell. Doch plötzlich muss der Sheriff lachen.
Sheriff: Fremder, bist du nicht Pat the Fat?
Pat the Fat: Genau, der bin ich.
Sheriff: Wir haben zusammen die Polizeiausbildung gemacht, weißt du nicht mehr? Ich bin John Wacker!
Pat the Fat: Doch, natürlich! John Wacker, alte Keule! Du hier? Und gleich Sheriff?
Sheriff: Klar, Mann! Und du so?
Pat the Fat: Hab die Seiten gewechselt, bin Verbrecher geworden und grade auf der Durchreise.
Sheriff: Verbrecher? Hammer! Dann will ich dich nicht länger aufhalten. Hau rein!
Pat the Fat steigt auf seinen Maulesel und reitet davon. Der Sheriff nickt ihm anerkennend hinterher, bevor er sich entschließt, sich am Brunnen eine handvoll Wasser ins Gesicht zu spritzen.
Er schaut auf die Turmuhr. Viertel vor sieben schon. Er bekommt Hunger. Da fällt ihm wieder der Kojote ein, der schon in der Pfanne brutzelt. Er geht schnurstracks in den Saloon und schnippt den Kellner herbei.
Kellner: Hallo Sheriff, darf es der Kojote sein?
Sheriff: Du sagst es, Mädchen.

Der Saloon ist rappelvoll. Es ist DER Treffpunkt für die Menschen in Goddamn City. Woanders gehen sie nicht hin, denn hier ist immer der Bär los. Findet der Sheriff im Prinzip auch. Da öffnet sich plötzlich die Tür und Billy the Shit betritt den Saloon. Dicht hinter ihm folgt T-Bone Miller. Ein Raunen geht durch die Menge, denn sie sehen anders aus. Sie haben sich Socken übers Gesicht gezogen. Verängstigt und hilfesuchend schauen die zahlreichen Gäste den Sheriff an. Doch der strahlt Ruhe aus, also sind die Gäste auch wieder ganz entspannt und feiern weiter. T-Bone Miller und Billy the Shit setzen sich aufreizend langsam an den Tresen, wo sie sich unterhalten. Leider kann man kein einziges Wort verstehen, weil es im Saloon so laut ist. Ein Glück, dass der Sheriff vorher die Wanze unter den Tresen geklebt hat, so kann er alles mithören. Es ist allerhand, was er so erfährt.
Billy the Shit : Weißt du T-Bone, eigentlich wäre ich viel lieber Anwalt als Ganove geworden. Und du?
T-Bone Miller: Ach weißt du, ich bin so ganz zufrieden.
Billy the Shit: Ich doch auch, war nur Spaß.
(Schweigen)
T-Bone Miller: Kannst du dich noch erinnern, wie wir damals angefangen haben, Pflaumen aus dem Garten vom Bürgermeister zu klauen?
Billy the Shit: Als wäre es gestern. Da fing unsere Gaunerkarriere an.
T-Bone Miller: Ja, das waren noch Zeiten. Mann, was war ich aufgeregt, als uns die Frau vom Bürgermeister deswegen ausgeschimpft hat. Heute juckt es mich nicht mal mehr, wenn ich einen umlege.
Billy the Shit: Geht mir genauso. Naja, wir sind halt erwachsen geworden, was?
T-Bone Miller: Und wie. Ich muss nur noch ein bisschen an meiner Schusstechnik feilen, dann bin ich ein gemachter Mann.
Billy the Shit: Stimmt. Aber es klappt ja schon ganz gut. Außerdem bin ich ja auch noch da, und ich schieße nun mal besser als du.
T-Bone Miller: Mach mal’n Kopp zu. Du schießt niemals besser wie ich.
Billy the Shit: Ach nee, und wer hat vorhin das Loch in die Straße geschossen, statt dem Sheriff die Kugel in die Stirn zu ballern? Das war ja wohl nicht ich!
T-Bone Miller: Nee, aber du hast dich ja noch nicht mal getraut, überhaupt zu schießen. Findest du das etwa besser?
Billy the Shit: Hör mal, du brauchst jetzt hier mal gar nicht auf Klugscheißer zu machen. Außerdem war meine Knarre gar nicht geladen.
T-Bone Miller: Ist ja noch toller. Willst den Sheriff erschießen, und dann rückste mit leerem Colt an. Profi, oder was?
Billy the Shit: Jetzt entspann dich mal, T-Bone, das war doch Taktik! Oder denkst du, ich knall den Sheriff am helllichten Tag ab? Pah!
T-Bone Miller: Okay, okay. Lass uns das später ausdiskutieren. Jetzt sieh dir mal den Sheriff an, wie der den Kojoten auffrisst. Ekelhaft.

Der Sheriff, der alles mithört, guckt jetzt extra verträumt an die Wand. Wenn er den Kojoten aufgegessen hat, will er zuschlagen und die beiden erledigen. Die Petersilienkartoffeln sind übrigens nicht richtig gar. Er hat sie zornig auf den Fußboden geschüttet. Aber der Kojote ist lecker.

Billy the Shit: Wir lassen ihn eben noch zu Ende kauen, dann schicken wir ihn ins Jenseits.
T-Bone Miller: Guter Plan.
Billy the Shit: Ist ja auch unser Plan. Wir sind halt die abgezocktesten Banditen unter der Sonne.
Siegessicher prosten sie sich mit ihren Zinnbechern zu. Zur Feier des Tages haben sie sich Wein bestellt. Den besten, den Goddamn City zu bieten hat. Flasche vier Dollar, den kann sich sonst eigentlich nur der Sheriff selbst leisten.
T-Bone Miller: Meine Hand wird zappelig, sie will an den Abzug.
Billy the Shit: Meine auch. Da, es kann losgehen, der Sheriff würgt seinen letzten Bissen runter.
Der Sheriff putzt sich gerade den Mund mit einer Stoffserviette ab. Unter der Serviette hält er seine Wumme. Keiner kann das erkennen.
T-Bone Miller: Also, ich steh auf und frag ihn nach der Uhrzeit, dann kommst du, rempelst mich an und provozierst einen Streit, in dessen Folge ein Schuss fällt, der zufällig den Sheriff trifft. Dann wird uns niemand einer Tat bezichtigen können.
Billy the Shit: Genial, T-Bone. Aber über was streiten wir uns denn dann? Es sollte schließlich so unauffällig wie möglich sein.
T-Bone Miller: Lass uns über das Wetter streiten, da kann jeder mitreden.
Billy the Shit: Super Idee, so machen wir’s.

T-Bone Miller erhebt sich ganz lässig vom Barhocker. Er flötet den Klang einer Harfe, die Unverfänglichkeit suggerieren soll. Er tritt an den Tisch des Sheriffs heran.

T-Bone Miller (leicht angetrunken): Wie spät?
Sheriff (bestimmt): Für dich fünf nach zwölf.
T-Bone Miller: Hä?
Billy the Shit kommt hinzu: Morgen soll es regnen.
T-Bone Miller: Was? Das darf doch wohl nicht wahr sein. Immer dasselbe mit dem Scheißwetter! Und du Penner bist dafür verantwortlich, weil du es mir gesagt hast!
Billy the Shit: Was? Sag das noch mal!
T-Bone Miller: Und du Penner bist dafür verantwortlich, weil du es mir gesagt hast!

Jawohl, jawohl! schalten sich die übrigen Gäste lautstark ein. Becher und Fäuste fliegen durch die Gegend, dass es nur so kracht. Da wird es dem Sheriff zu bunt. Er steigt auf einen Stuhl und sagt folgende Worte: Wer ist denn?

Die Leute verharren und schauen sich an. Dann brüllen sie es heraus: Wer ist denn? Wer ist denn? Ja wer ist denn?

Der Sheriff dirigiert sie nach draußen, so dass er ganz alleine mit T-Bone Miller und Billy the Shit im Saloon ist. Jetzt fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen. Der Sheriff hat die ganze Zeit gewusst, wer sie sind. Sie werden von Panik ergriffen und wollen schießen, doch der Sheriff bleibt ganz cool.

 

Sheriff: Moment noch.
T-Bone Miller und Billy the Shit (wieder unisono): Ja was denn?

Da hebt der Sheriff seine neue Pistole und feuert zwei Schüsse ab. T-Bone Miller und Billy the Shit sinken zu Boden. Der Sheriff beugt sich über sie und stellt den Tod fest. Am anderen Ende des Tresens sitzt der Schlenderer, er hat ein Bild von der Situation gemalt. Das hängt jetzt beim Sheriff an der Wand. Es ist wieder Frieden eingekehrt in Goddamn City.

Ende

.......................................................................................................................................................................
© 2007 - Manuel Lippert nach oben